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Wortprotokoll Beschluss |
In seiner Sitzung am 18.09.2007 hat der Rat die Verwaltung beauftragt, die Einführung eines
Sozialtickets für den öffentlichen Nahverkehr zu prüfen. Hier sollte insbesondere die damals noch nicht abgeschlossene Diskussion innerhalb des VRR über eine VRR-weite Einführung eines Sozialtickets abgewartet werden. Nunmehr hat sich die Verbandsversammlung des VRR mehrheitlich gegen die Einführung eines Sozialtickets ausgesprochen. Als Reaktion hierauf hat nunmehr die Stadt Dortmund die Einführung eines Sozialtickets beschlossen. Auch andere Städte bzw. Verkehrsunternehmen haben in der Vergangenheit Sozialtickets eingeführt, so z.B. die Stadt Köln.
Das BSG Kassel hat im Dezember 2007 abschließend beschlossen, dass Arbeitslose Anspruch auf Fahrtkostenerstattung für Fahrten im Rahmen der Arbeitssuche bzw. bei von der ARGE veranlassten Fahrten haben. Die bislang übliche Bagatellgrenze, die von den ARGEn veranschlagt wurden, ist damit hinfällig geworden. Damit wäre hinsichtlich der Finanzierung eines Sozialtickets auch eine Kostenbeteiligung der ARGE denkbar, die damit Fahrten von Arbeitslosen im Rahmen der Arbeitssuche bzw. der Durchführung von Arbeitsmaßnahmen pauschal abdeckt.
Vor diesem Hintergrund stellen wir folgende Fragen:
1. Welche Gründe führten für den VRR zur Ablehnung eines Sozialtickets?
2. Wie hoch ist seitens des VRR das Defizit bei Einführung des Sozialtickets geschätzt worden?
3. Wie hoch schätzt die Verwaltung die finanziellen Kosten für die Stadt bzw. die HCR, wenn ein Sozialticket auf Kalkulationsbasis des VRR-Versuches bzw. der Stadt Dortmund eingeführt würde?
4. Sieht die Verwaltung die Möglichkeit, Mittel der ARGE für eine pauschale Fahrtkostenerstattung im Rahmen der Arbeitssuche von Arbeitslosen als Finanzierungsbeitrag eines Sozialtickets einzuwerben?
5. In einem Radiointerview hat ein Stadtsprecher die Kosten für ein Sozialticket auf mehrere Millionen Euro veranschlagt. Wie ist diese Summe errechnet worden?
6. Können die Kosten für ein Sozialticket gesenkt werden, wenn hinsichtlich der Nutzungszeiten Einschränkungen vorgenommen werden?
Die Beantwortung erfolgt durch Herrn Stadtdirektor Bornfelder:
Ziel der Einführung eines Sozialtickets ist regelmäßig die Gewährleistung der Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben einer Großstadt und das Entgegenwirken sozialer Ausgrenzung und Isolation. Zur Erreichung dieses Zieles soll Menschen mit geringem Einkommen die Möglichkeit gewährt werden, durch ein niedriger als üblich tarifiertes Ticket im Gemeindegebiet die öffentlichen Nahverkehrsmittel benutzen zu können.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass nach dem
Personenbeförderungsgesetz von jedem Fahrgast der gleiche Fahrpreis zu
entrichten ist. Dabei spielen Herkunft, Einkommen, Wohnort, Geschlecht usw.
keine Rolle. Sofern per Gesetz bestimmte Kundengruppen ermäßigt befördert
werden sollen, besteht für die Verkehrsunternehmen ein Ausgleichsanspruch.
Dieser wird dann von Rechts wegen auch ausgeglichen. Zurzeit sind laut
Gesetz Schüler, Studenten und
Auszubildenden sowie Schwerbehinderte benannt. Weitere Personengruppen und
damit ein finanzieller Ausgleichsanspruch für deren Beförderung sind nicht
vorgesehen. Wenn nun ein Verkehrsunternehmen weiteren Personengruppen
Fahrpreisvergünstigungen einräumt, tut er dies in eigener wirtschaftlicher
Verantwortung. In der heutigen Finanzsituation der kommunalen
Verkehrsunternehmen sind aber
Fahrpreisabsenkungen nur dann denkbar, wenn sie durch nennenswerte Mehrverkehr
zumindest ausgeglichen werden.
Für die Einführung eines Sozialtickets stehen grundsätzlich zwei Wege zur Verfügung:
1. Beschlussfassung über einen entsprechenden Sondertarif in den Gremien des VRR. Folge wäre ein einheitliches Sozialticket innerhalb des Verbundgebietes des VRR.
2. Unter Anwendung des VRR-Tarifes müsste zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen in einer Gemeinde eine Sonderregelung getroffen werden, die davon ausgeht, dass das Verkehrsunternehmen den regulären Ticketpreis von der Stadt vereinnahmt und diesen gegenüber dem VRR als Einnahme anmeldet. Der Aufgabenträger (Stadt Herne) würde als Großkunde gegenüber dem Verkehrsunternehmen ein Großkunden-Jahresabonnement abschließen und den begünstigten Leistungsempfängern zu einem bestimmten noch weiter vergünstigten Preis ein Jahresabonnement anbieten. Der sich daraus ergebende Unterschiedsbetrag zwischen Regeltarif des VRR und rabattiertem Sozialticket wäre der im Einzelfall in Kauf zu nehmende Subventionsaufwand, der wie gesagt, von dem Aufgabenträger, der Stadt Herne, dem Verkehrsunternehmen jeweils erstattet werden müsste.
Zu beachten ist dabei, dass die Gewährung eines Sozialtickets keine pflichtige, sondern eine klassische freiwillige Leistung darstellt. Unter den für die Stadt Herne geltenden haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen scheidet daher für die Dauer der vorläufigen Haushaltsführung die Übernahme einer solchen zusätzlichen freiwilligen Leistung aus.
Zu Fragen 1 + 2:
Unzutreffend ist die Ausgangshypothese der Fragesteller, der VRR habe die Einführung eines Sozialtickets abgelehnt. Richtig ist vielmehr, dass in der jüngeren Vergangenheit kein entsprechender Beschluss gefasst wurde. Im Übrigen zeigen die Diskussionen innerhalb der Gremien des VRR, dass über die Fraktionsgrenzen hinweg die Auffassung vertreten wird, dass Tarifpolitik kein taugliches Instrument sozialer Leistungsgewährung sein kann.
Zu Frage 3:
Eine präzise Schätzung der Kosten für die Stadt bzw. der HCR auf der Grundlage des sog. „Dortmund-Modells“ setzt bestimmte Annahmen voraus. Auszugehen ist in der Stadt Herne von
22.411 Leistungsempfängern SGB II,
188 Empfängern Grundsicherung innerhalb von Einrichtungen,
1.206 Empfängern von Grundsicherung außerhalb von Einrichtungen und
109 Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt.
Insgesamt ergibt sich daraus eine Gesamtzahl von ca. 24.000 potentiellen Anspruchinhabern für ein Sozialticket.
Besonders berücksichtigt müssten dabei die Empfänger von Schülerfahrtkosten werden, die aufgrund einer bestimmten Entfernung zwischen Wohnung und Schule Anspruch auf Kostenerstattung durch den Schulträger haben. Da diese Fahrtkostenerstattung ausschließlich entfernungsbezogen und nicht etwa sozialorientiert geleistet wird, lässt sich nicht feststellen, wie viele Empfänger von Schülerfahrtkosten gleichzeitig potentielle Berechtigte eines Sozialtickets sein würden.
Ebenso müsste berücksichtigt werden, dass bei Schülern, die schon Inhaber eines sog. „Schokotickets“ sind, ein niedriger Subventionsaufwand geleistet werden müsste, da hier nur der Unterschiedsbetrag zwischen den Kosten eines Schoko- und Sozialtickets in Anrechnung gebracht werden könnte.
Grundlage der sog. „Dortmund-Regelung“ ist die Gewährung eines Tickets 1000 der Preisstufe A = je 45,77 €. Im Großkunden-Abo wird der Stadt ein Nachlass von ca. 10% gewährt, so dass ein Nettopreis von 41,20 € verbleibt.
Den Berechtigten eines Sozialtickets würden nach dem „Dortmund-Modell“ ca. 15 € für das Sozialticket in Rechnung gestellt werden müssen.
Der Subventionsaufwand läge demnach pro Anspruchsteller und Monat bei ca. 25 €.
Bei vorsichtiger Schätzung ergibt sich bei
5.000 Leistungsberechtigten ein Kostenaufwand von 1,5 Mio. €,
10.000 Leistungsberechtigten ein Kostenaufwand von 3,0 Mio. €,
15.000 Leistungsberechtigten ein Kostenaufwand von 4,5 Mio. €,
20.000 Leistungsberechtigten ein Kostenaufwand von 6,0 Mio. €.
Im Gegensatz zu Dortmund wird der ÖPNV in Herne von mehreren Verkehrsgesellschaften mit jeweils nennenswerten Anteilen abgewickelt. Im Rahmen der sog. „Übersteigerregelung“ würde dies dazu führen, dass die von der HCR dem VRR gemeldeten Einnahmen zumindest teilweise an die anderen dem Verkehrsraum der Stadt Herne bedienenden Verkehrsunternehmen weitergereicht werden müssten.
Zu Frage 4:
Nein. Es existiert hierzu eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Gemäß § 16 Abs. 1 des SGB II i. V. m. § 45 SGB III können Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitssuchende zur Vermittlung u.a. Reisekosten in Zusammenhang mit Fahrten zur Berufsberatung, Vermittlung, Eignungsfeststellung und zum Vorstellungsgespräch Einzelfallbezogen erhalten.
Eine pauschale Fahrtkostenerstattung aus dem der ARGE zur Bewirtschaftung zugeteilten Bundesmitteln ist daher nicht möglich.
Zu Frage 5:
Der Rechnungsweg ist auf der Grundlage zur Frage 3 nachvollziehbar.
Zu Frage 6:
Die Kosten für ein Sozialticket könnten gesenkt werden, wenn anstelle eines Tickets 1000 der Preisstufe A eine Einschränkung der Nutzungszeit ab 9.00 Uhr gewählt würde (bei ansonsten gleichen Bedingungen), dann würde der Subventionsaufwand sich insgesamt halbieren.
Herr Nierstenhöfer fragt, ob der Niederschrift eine Liste der 30 attraktivsten Tickets beigefügt werden kann. Herr Bornfelder entgegnet, dass dies leider nicht möglich ist.
Herr Schlüter erkundigt sich, inwieweit es bereits jetzt Erkenntnisse über zusätzliche Personalkosten gibt. Herr Bornfelder bestätigt, dass ein erheblicher Mehraufwand an Personalkosten zu erwarten wäre. Je größer der Nutzerkreis wäre, desto umfangreicher wäre auch der Prüfaufwand.